Widukind-Sage
Text
Leipzig/Gütersloh 1939

Kurze Erläuterung

Widukind kämpfte im 8. Jahrhundert als Sachse gegen die Franken und unterwarf sich schließlich durch seine Taufe den Franken unter Karl dem Großen. Die Widukind-Sage überdauerte das Mittelalter. Als Ende des 19. Jahrhunderts ein neues Verständnis einer deutschen Nation entstand, wurde die historische Figur Widukinds zu einer Identifikationsfigur stilisiert. Schließlich wurde sie auch von den Nationalsozialisten propagandistisch missbraucht. Alfred Rosenberg, Leiter der geistigen und weltanschaulichen Erziehung der NSDAP, betonte immer wieder die Verbindungen zwischen Widukind, Hermann dem Cherusker und Adolf Hitler als deren ideellem Nachfolger, der nun die Kämpfe Widukinds fortsetzen würde.
Mit der Machtübernahme 1933 nahmen die Nationalsozialisten auch Einfluss auf das Bildungswesen und ließen z.B. Lehrpläne und Schulbücher überarbeiten und ideologisch anpassen. Dem Schulfach Geschichte kam dabei eine besondere Bedeutung zu, da die Vergangenheit benutzt werden sollte, die Macht der Nationalsozialisten zu legitimieren und historisch zu begründen.

Relevanz des Materials

Die durch die nationalsozialistische Propaganda zugeschriebenen Attribute Widukinds lassen sich aus der Schulbuchsage an mehreren Stellen herausarbeiten. Deutlich wird die Rolle Widukinds als Vertreter der Bauern und „einfachen Menschen“ durch die Beschreibung seines Antagonisten Karl dem Großen. Dieser wird als grausamer Herrscher beschrieben, der gegen die Bauern kämpft, Zwangstaufen durchsetzt und eine Gewaltherrschaft mithilfe des Adels etabliert. Demgegenüber steht Widukind als „hochangesehener Edelmann“, der das Volk verteidigt, während „die Adeligen ihr Volk verräterisch im Stich [ließen]“. Zum Ende werden die Sachsen, die lange den Widerstand gegen Karl aufrecht erhalten hätten, als Verteidiger des deutschen Volkes hervorgehoben und somit eine direkte Linie zur Gegenwart des Jahres 1939 hergestellt („[…] stärkten die Sachsen mit ihrem Eintritt in das Reich den germanischen Blutanteil gewaltig“). Unterstützt werden die Beschreibungen der Sage durch das Vorwort des Schulbuchs, das ergänzend hinzugenommen werden kann. Hier wird die Intention klar formuliert: „Das Thema unseres Buches ist die Volkswerdung der Deutschen oder genauer, deutsches Volk und Volkstum in seinem schicksalhaften Ringen um artgemäße Entfaltung im Kampfe um seinen Lebensraum, um seine Einheit und das Reich. Also deutsche Geschichte, und zwar gesamtdeutsche, völkische im Mittelpunkt, und mit ihr im Zusammenhang die Geschichte der andern Völker, soweit sie für uns von Bedeutung sind!“ Damit wird die Haltung und Absicht der Autoren klar formuliert und die Sage muss unter diesem Hintergrund gelesen und interpretiert werden.

Theresa Hiller

Lernort 

Die Schulbuchsammlung des Historischen Instituts umfasst ca. 2.000 Geschichtsschulbücher von 1816 bis heute. Den größten Teil der Sammlung bilden Schulbücher für den Geschichtsunterricht. Ergänzt wird die Sammlung durch Quellensammlungen, Handreichungen für den Lehrer sowie (vor allem historische) Richtlinien und Erlasse. Außerdem gibt es eine breite Auswahl gängiger internationaler Geschichts-Schulbücher.

Schulbuchsammlung Ruhr-Universität Bochum