Kurze Erläuterung
Diese Karte wurde als Beilage für den dritten Band des „Leifadens für den Geschichtsunterricht in Lyzeen und höheren Mädchenschulen“ abgedruckt. Das Schulbuch wurde von Emil Brockmann, Kreisschulinspektor in Warendorf, und Josef Kösters, Seminardirektor in Jülich, in Münster herausgegeben. Die höhere Mädchenschule war die Vorläuferinstitution des Mädchengymnasiums, dass 1908 in Preußen eingerichtet wurde und Mädchen zum Abitur führen sollte. Auf diese Reform nimmt der Untertitel „Nach den Bestimmungen vom 12. Dezember 1908“ Bezug. Die Karte zeigt einerseits die Schiffsrouten von „‚Entdeckern‘“ wie James Cook, Vasco da Gama oder Christoph Kolumbus und andererseits die Entwicklung des „Kolonialbesitzes“ der Eeuropäischen Staaten in der ganzen Welt.
Relevanz des Materials
Wie der Titel der Karte bereits verrät, zeigt sie sowohl einige Schiffsrouten der bekanntesten europäischen „Entdeckungsreisenden“ als auch den aus ihnen hervorgegangenen „Kolonialbesitz“ bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Dass bis auf wenige Ausnahmen auf ihr lediglich die von Europäern kolonialisierten Gebiete verzeichnet sind, ermöglicht eine Diskussion über die Suggestivkraft der „leeren“ und somit „unentdeckten“ weiteren Gebiete abseits der europäischen Kolonien. So lässt sich eine Verbindung zwischen ausgeprägtem Eurozentrismus und Kolonialismus herstellen, da die „übrige“ Welt somit zur „Entdeckung“ und Kolonialisierung bereitstünde. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Deutsche Kaiserreich seit seiner Gründung innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten ausgedehnten „Kolonialbesitz“ erworben hatte, kann auch der von Wilhelm II. geforderte „Aufstieg zur Weltmacht“ thematisiert werden. Darüber hinaus lassen sich anhand der Karte sowohl Kontinuitäten als auch Unterschiede des damaligen Geschichtsunterricht zum heutigen aufzeigen. So hat der Einsatz von Karten zur Veranschaulichung dynamischer Geschehen über den reinen Geographieunterricht hinaus offenbar eine lange Tradition. Begriffe wie „Entdeckungsfahrten“ oder „Kolonialbesitz“ würden hingegen in heutigen deutschen Schulbüchern gar nicht oder nur mit einer kritischen Kontextualisierung versehen vorkommen. Diese Differenz kann als Anlass zur Metareflexion von Schüler:innen über Methoden und Inhalte des Geschichtsunterrichts dienen. So könnte bspw. die scheinbare Selbstverständlichkeit des Einsatzes von Karten im Unterricht hinterfragt oder auch die Suggestivkraft der leeren Flächen abseits der „Kolonien“ kritisch thematisiert werden.
Sebastian Lange / Mario Polzin
Das Georg-Eckert-Institut (GEI) betreibt Forschungen zu Produktion, Inhalten und Aneignung von schulischen Bildungsmedien in ihren soziokulturellen, politischen, ökonomischen und historischen Kontexten und stellt einzigartige Forschungsinfrastrukturen forschungsbasiert, digital und vor Ort bereit. Im Zentrum steht die weltweit umfangreichste internationale Schulbuchsammlung des GEI. Außerdem erbringt es Transferleistungen aus kritischer Forschungsperspektive für die nationale und internationale Bildungspraxis, Bildungsmedienproduktion und Bildungspolitik. Forschung, Forschungsinfrastrukturen und Wissenstransfer sind in der Arbeit des GEI durchgängig aufeinander bezogen. Als außeruniversitäre Einrichtung, die Bildungsmedienforschung gleichermaßen betreibt und ermöglicht, hat sich das Leibniz-Institut für Bildungsmedien zu einem internationalen Referenzzentrum in diesem Feld entwickelt.