Kurze Erläuterung
Die Mission, also das Bekehren der Menschen im globalen Süden zum Christentum, war eines der zentralen Motive des Kolonialismus. Missionar:innen wurden von Einheimischen häufig als erste Welle der Eroberung betrachtet.
Schon vor der Gründung deutscher „Schutzgebiete“ waren deutsche Geistliche in den Kolonien anderer europäischer Mächte als Missionar:innen tätig. Diese Erfahrungen konnten sie nutzen, um Verhandlungen zwischen Deutschen und einheimischen Eliten zu begleiten. Sie übersetzten nicht nur, sondern beeinflussten die lokalen Eliten soweit, dass sie – zu ihren Ungunsten – die „Schutzverträge“ mit dem Deutschen Kaiserreich annahmen.
Die europäischen Missionar:innen hielten sich häufig für kulturell und auch „rassisch“ überlegen. Darum sahen sie es als ihre Pflicht an, der Lokalbevölkerung christliche Religion und die überlegene europäische Kultur näher zu bringen – obgleich einige Missionar:innen die gewalttätigen Praktiken der Kolonialherrscher vor Ort durchaus kritisierten.
Der vorliegende Spendenaufruf zum 25-jährigen Thronjubiläum Kaiser Wilhelms II. 1913 verdeutlicht diese Verflechtung von Kaiserreich und Kirchen. Die Sammlung wurde von der Deutschen Kolonialgesellschaft organisiert, einem Verband, der maßgeblich propagandistische Zwecke verfolgte. Dieser wurde 1887 durch die Zusammenlegung zweier Kolonialorganisationen in einer Zeit gegründet, in der die allgemeine Kolonialbegeisterung einer zunehmend desillusionierten Wahrnehmung wich.
Relevanz des Materials
Religion und Nationalismus gehörten im Deutschen Kaiserreich eng zusammen. Besonders die evangelische Kirche war dem protestantischen Preußen eng verbunden. Über die nationale Aufgabe der Kolonisation und der Missionierung näherte sich aber auch die katholische Kirche dem Deutschen Kaiserreich nach den Spannungen im Zuge des Kulturkampfes wieder an.
Der vorliegende Aufruf wurde in der Kirchengemeinde Lohe – heute ein Stadtteil von Lippstadt ausgegeben. Der Text zeigt die enge Verflechtung von Kolonialverwaltung, wirtschaftlichen Interessen und kirchlicher Mission – letztere sei ein wichtiger Pfeiler deutscher Kultur, die insgesamt einer der „stärksten Träger von Deutschlands Macht in fernen Weltteilen“ sei. Aus diesem Grund sei die Unterstützung christlicher Missionar:innen eine nationale Aufgabe für das gesamte Volk. Auch wenn explizit „Vertreter[n] beider Konfessionen“ angesprochen werden, rückt der Text insbesondere die Arbeit evangelischer Missionare in den Blick, welche die Mission „mutig in Angriff genommen“ hätten. Außerdem stellen sich das Überlegenheitsgefühl der Missionsbewegung und die Vorstellung, nur „das Beste“ für die Menschen in den Kolonien zu wollen, heraus. Unter anderem Schulbildung und die Gesundheitsversorgung sind jedoch Argumente und Mittel, um die indigenen Menschen „zu einem verständigen brauchbaren Arbeiter, zu einem zulässigen Menschen, zu christlichen Lebensanschauungen“ zu erziehen. Hier wird jedoch deutlich, dass nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern vor allem die Sicherstellung ihrer wirtschaftlichen Leistung.
Daniel Sobanski / Andrea Lorenz
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