Kurze Erläuterung
Durch die Industrialisierung verschob sich das Verhältnis von Arbeitsplätzen und Arbeitskräften. Die neu entstehenden großen Industrien benötigten zahlreiche Arbeiter:innen, die allein durch die vor Ort ansässigen Menschen nicht abgedeckt werden konnten. Neben einer starken Land-Stadt-Tendenz entstanden durch die Industrialisierung auch Migrationsbewegung über weitere Strecken z.B. aus den ostpreußischen Gebieten wie Posen (Poznań im heutigen Polen) oder den Masuren ins Ruhrgebiet. Kamen zunächst noch viele ungelernte Kräfte an die Ruhrzechen, entwickelte sich im Laufe der Zeit durchaus auch eine Migration von Fachkräften beispielsweise aus dem oberschlesischen Kohlerevier. Viele Bergleute holten nach und nach auch ihre Familien nach. Kulturelle und insbesondere konfessionelle Unterschiede aus den ursprünglichen Heimaten wurden aber häufig auch in der neuen Heimat beibehalten und führten zu separierten Communities im Ruhrgebiet.
Trotz der geographischen Nähe der Ausgangspunkte vieler Migrationsgruppen blieben diese auch im Ruhrgebiet häufig in voneinander getrennten Gruppen, da sie unterschiedlichen Konfessionen angehörten. Die Zuwanderer aus den Masuren, an die sich dieser Aufruf von 1908 richtete, waren hauptsächlich protestantisch. Zeitlich gesehen erfolgte dieser Anwerbungsversuch zu spät, die Hauptmigrationsströme waren hier schon beendet. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen viele der ins Ruhrgebiet migrierten Bergleute weiter nach Belgien oder Frankreich. Der „Masurenaufruf“ wird hier in der Ausgabe der „Bergarbeiter-Zeitung“ vom 8. August 1908 wiedergegeben, ein Original des ursprünglichen Plakats scheint nicht mehr zu existieren. Eingebettet ist er in einen Beitrag, der sich eigentlich gegen die Anwerbung von Bergleuten aus den Masuren ausspricht.
Relevanz des Materials
Der Aufruf unterstreicht die scheinbare Notwendigkeit der Ruhrzechen, Bergleute anzuwerben, um ausreichend Kohle zu fördern und damit rentabel und mit maximalem Ertrag arbeiten zu können. Die Beschreibung von Herten als idyllischer, ländlicher Region und den scheinbar idealen Wohnverhältnissen der durch die Zeche zur Verfügung gestellten Häuser mit Garten zur Selbstbewirtschaftung und der (durch die Zechen geförderten) Möglichkeit zur Aufnahme von Kostgängern soll die Migration nach Herten für die Bergarbeiter und auch ihre Familien attraktiv machen. Insbesondere die Beschreibung der ländlichen Umgebung sollte Männer für die Arbeit im Ruhrgebiet animieren, die im Falle der Masuren bisher v.a. aus ländlichen Regionen kamen und nun in Herten auch auf ein scheinbar eher ländliches Arbeitsumfeld stießen. Die hier anvisierte Gruppe an Arbeitskräften unterscheidet sich daher deutlich von der zum Beispiel in Bottrop erfolgten Anwerbung von bereits ausgelernten und ausgebildeten Bergleuten.
Das Heft „Aufbruch im nördlichen Ruhrgebiet 1870-1914 – Exemplarische Quellen aus den kommunalen Archiven des Kreises Recklinghausen“ herausgegeben von Bildungspartner NRW, bietet noch weiterführende didaktische Hinweise und Einsatzmöglichkeiten der Quelle.
Theresa Hiller
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