Kurze Erläuterung
Die konservative Regierung des Deutschen Kaiserreichs unter Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck sah in der immer stärker werdenden sozialdemokratischen Bewegung eine Gefahr für die von ihnen angestrebte Gesellschaftsform mit einer starken Machtposition von Adel und Bürgertum. Bismarck nutzte schließlich zwei gescheiterte Anschläge auf Wilhelm I. 1878 und konnte im Reichstag eine Mehrheit für das sog. „Sozialistengesetz“ erlangen, die jegliche Zusammenkünfte, Schriften und Organisationgründungen verbot. Damit wollte er die erstarkende linke Bewegung stoppen. Dies gelang jedoch nicht. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion war von dem Gesetz nicht betroffen und wuchs beständig. Nach Bismarcks Ausscheiden aus der Politik 1890, wurde das Gesetz von Kaiser Wilhelm II. nicht mehr verlängert. Bereits kurz dem Ende des Sozialistengesetzes erschien in Bielefeld die erste Ausgabe der „Volkswacht“, die bis zu ihrem Verbot 1933 ein starkes sozialdemokratisches Presseorgan in Westfalen blieb.
Relevanz des Materials
An dieser ersten Ausgabe der „Volkswacht“ – und ihrem Erscheinen – wird deutlich, dass das Sozialistengesetz die erstarkende sozialdemokratische oder auch sozialistische Bewegung nicht bremsen konnte. Aus der ersten Seite der neu aufgelegten Zeitung sprechen die Hoffnung und der Optimismus, sich als Vertreter linker Politik in Bielefeld durchsetzen zu können. Dabei sieht sich die Redaktion als „Organ des werkthätigen Volkes“, „das in ihren [seinen] Spalten lediglich und allein die Interessen desjenigen an Zahl weitaus größere Theiles der Gesamtbevölkerung vertreten werden soll, welchen im Gegensatz zu der mit einer größeren oder geringeren Kapitalmacht ausgerüsteten Klasse des Lohnherren die Besitzlosen ausmachen“. Aus dem Leitartikel können zentrale sozialdemokratische Standpunkte der Zeit herausgearbeitet und analysiert werden (z.B. Klassengegensätze, Ungerechtigkeit durch Verfassung und Kampf um die Rechte der Arbeiter:innenschaft).
Theresa Hiller
Stadtarchiv und landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld sind ein städtisches Amt, das alle Bereiche schriftlicher, historischer Überlieferung vereint. Neben der kommunalen Überlieferung, die bis in die frühe Neuzeit zurückreicht, werden Unterlagen und Bücher des Historischen Vereins Ravensberg und anderer regionalhistorischer Akteure bewahrt und zugänglich gemacht. Veranstaltungs- und Tagungsräume bieten Platz für ein umfassendes Programm zur Stadt- und Regionalgeschichte, das vom Vortrag über den Schülerworkshop bis zum Filmabend reicht.