Kurze Erläuterung
Im 19. Jahrhundert konnten durch eine verbesserte Hygiene und Medizin Seuchen zurückgedrängt, die Kindersterblichkeit verringert und die Lebenserwartung gesteigert werden. Das dementsprechend starke Bevölkerungswachstum war auch in Westfalen zu spüren: Lebten im Jahr 1810 noch 1 Million Menschen in Westfalen, waren es vierzig Jahre später 1,5 Millionen, im Jahr 1880 bereits 2 Millionen und 1925 betrug die Bevölkerung Westfalens gar 4,8 Millionen. Das Bevölkerungswachstum ging mit einer rasanten Urbanisierung (Verstädterung) einher, d.h. der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung stieg immens. Sowohl Alleinstehende als auch ganze Familien zogen vom Land in die Städte. Neue, besser bezahlte Arbeitsplätze in der Textil- oder Montanindustrie sowie zunehmend auch im Dienstleistungssektor, die sinkenden Arbeitsmarktrisiken, die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten sowie Kultur- bzw. Vergnügungsangebote in den Städten einerseits (Pull-Faktoren) und Bevölkerungsdruck sowie Armut auf dem Land andererseits (Push-Faktoren) bewirkten besonders ab 1871 eine Landflucht in die Städte.
Relevanz des Materials
Anhand der vorliegenden Karten lassen sich Gründe und Zusammenhänge von Bevölkerungswachstum und Urbanisierung erarbeiten. Sie bieten darüber hinaus die Möglichkeit, auch die Folgen des Bevölkerungswachstums, wie etwa den Pauperismus des 19. Jahrhunderts – also die zunehmende Verelendung immer größer werdender Teile der Bevölkerung –, zu diskutieren und somit auch langfristige Begleiterscheinungen von Entwicklungsprozessen nachvollziehen zu können. Interessant ist dabei der Vergleich zwischen der Neugründung von Städten (Karte 3) und dem Bevölkerungswachstum im Ruhrgebiet (Karten 1 und 2) oder auch die Entstehung eines Ballungsraums in Ostwestfalen-Lippe. Diese Entwicklungen lassen sich in Verbindung setzen mit der Entstehung der Eisenbahn, die nach den Plänen des Unternehmers Friedrich Harkort eben diese neu entstehenden Zentren miteinander verbinden sollte.
Franziska Hackenes
Das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte ist eine wissenschaftliche Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Es betreibt moderne Regionalgeschichtsforschung mit dem Schwerpunkt auf der Neueren Geschichte und Zeitgeschichte. Mit dieser Ausrichtung ist das Institut eine Besonderheit: Es ist die einzige Einrichtung, die sich in kommunaler Trägerschaft der Erforschung des 19., 20. und 21. Jahrhunderts widmet. Neben der eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit fördert es externe Arbeiten und bietet Historiker:innen sowie der interessierten Öffentlichkeit Publikationen, Veranstaltungen und Serviceleistungen an.