Schreiben des Mindener Regierungspräsidenten Zenz
Textquelle
Minden am 22.08.1945

Kurze Erläuterung

Mit dem Ende der NS-Diktatur fanden sich auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands in der sogenannten „Stunde Null“ plötzlich zahlreiche Menschen mittellos an Orten, in denen sie keinerlei persönliche Beziehungen oder soziale Netzwerke hatten. Neben Geflüchteten und Vertriebenen betraf dies vor allem die sogenannten Displaced Persons (DPs), meist befreite KZ-Gefangene oder Zwangsarbeiter:innen aus verschiedenen Ländern, die nicht oder nicht sofort in ihre Heimat zurückkehren konnten. Mit der Einrichtung von „DP-Lagern“ versuchten die britischen und US-amerikanischen Besatzungsbehörden ein gewisses Maß an Organisations- und Versorgungsstrukturen aufzubauen. Dies reichte jedoch nicht zur Versorgung aller ehemaliger Insass:innen von Arbeits- oder Konzentrationslagern aus – zumal sich die Motivation für eine weitere Lagererfahrung bei vielen Displaced Persons verständlicherweise in Grenzen hielt. Zudem gab es eine nicht unbedeutende Anzahl deutscher KZ-Häftlinge und politischer Gefangener, die den Weg in ihre alten Heimatorte suchten, aber dort die erhoffte Unterstützung durch Familie oder Freund:innen nicht vorfanden.
Mechanismen zur Entschädigung von enteigneten oder entrechteten NS-Opfern wurden erst nach Gründung der Bundesrepublik diskutiert. Ein Bundesgesetz zur Beantragung solcher Entschädigungen trat sogar erst 1956 in Kraft.

Relevanz des Materials

Da das Schreiben vor Gründung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen im Jahr 1946 verfasst worden ist, handelt es sich bei dem durch die britische Militärverwaltung als „unbelastet“ berufenen Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Minden, Paul Zenz,  zu diesem Zeitpunkt um einen der höchsten deutschen Verwaltungsbeamten. Zenz schlägt zwar durchaus Unterstützungsleistungen für die Opfer des NS-Regimes vor, aber es scheint ihm vorrangig um die Vermeidung von Missgunst seitens der deutschen Bevölkerung zu gehen, wie seine Appelle zum Ausschluss Krimineller und zur Anpassung der Unterstützung an die deutschen Fürsorgesätze zeigen. Er spricht auch von „rassischer“ Diskriminierung.  Ob dies eine grundsätzliche Offenheit für alle Opfergruppen bedeutet oder eine Scheu, das Schicksal der jüdischen Bevölkerung klar zu benennen, kann Anlass für Diskussionen bieten.
Dieses Schreiben lässt sich gut in Verbindung setzen mit dem Antwortschreiben des Oberpräsidenten Amelunxen vom 23. August 1945.

Dr. Franz Jungbluth / Mario Polzin

Lernort 

Das Kreisarchiv Gütersloh besteht seit 1984 und bewahrt und erschließt die Akten der ehemaligen Kreise Wiedenbrück und Halle in Westfalen sowie des 1972 daraus hervorgegangenen Kreises Gütersloh. Weitere größere Bestände bilden die Überlieferung von kreisweit aktiven Verbänden sowie private und öffentliche Fotosammlungen.
Das Kreisarchiv gibt eine Schriftenreihe und ein Jahrbuch für regionalhistorische Beiträge heraus und ist mit Führungen und Beratung vor Ort sowie einem Materialservice für Schulen im Kreisgebiet archivpädagogisch tätig.

Kreisarchiv Gütersloh