Reichsautobahn
Bildquelle
Gelsenkirchen 1935-1937

Kurze Erläuterung

In Gelsenkirchen entstand im Rahmen des NS-Prestigeprojektes „Reichsautobahn“ eine Großbaustelle. Die einzelnen Bauabschnitte wurden für propagandistische Großveranstaltungen der lokalen und regionalen NS-Führungskader genutzt – erwähnenswert sind der erste Spatenstich 1934 oder die Fertigstellung 1937. Seit 1935 war der Reichsarbeitsdienst (RAD) für männliche Jugendliche obligatorisch, diese halfen auch zu tausenden beim Bau mit und zwar meist tatsächlich nur mit einem Spaten ausgerüstet. Bis 1937 wurde im Gelsenkirchener Stadtgebiet ein neun Kilometer langer Abschnitt der heutigen A 2 fertigstellt, in beide Fahrrichtungen gab es zwei Spuren, eine Mittelleitplanke wurde noch nicht gebaut. Allerdings trug der Autobahnbau nicht wesentlich zur Beseitigung des Problems der Arbeitslosigkeit bei – auch nicht in Gelsenkirchen. Bis 1945 waren von den geplanten 6.900 km erst rund 3.800 km gebaut.

Gauleiter Alfred Meyer (1891-1945) fuhr 1937 in einem Mercedes, erkennbar am Marken-Stern, über die neu eingeweihte Reichsautobahn in Gelsenkirchen. Das Nummernschild beginnt mit dem Buchstaben „IX“, was darauf hinweist, dass der Wagen in der preußischen Provinz Westfalen zugelassen wurde –  Meyer war dort als Gauleiter des Gaus Westfalen-Nord beschäftigt. Er hatte eine enge Beziehung zu Gelsenkirchen, denn von 1923 bis 1930 war er Zechenbeamter in der juristischen Abteilung auf der Zeche Graf Bismarck. Seit dem 1. April 1928 war er Mitglied der NSDAP und wurde sogleich Ortsgruppenleiter der Partei in Gelsenkirchen. Im November 1929 wurde er als einziges NSDAP-Mitglied in den Rat der Stadt Gelsenkirchen gewählt. Als Teilnehmer der Wannseekonferenz war er in die Organisation des Holocausts eingebunden. Da er darauf drängte, die Anwendung der Vernichtungsmaßnahmen auch auf die „jüdischen Mischlinge“ auszuweiten, trug er erheblich zur Erhöhung der Opferzahlen bei.

Relevanz des Materials

Nachdem die Nationalsozialisten und ihr Führer Adolf Hitler im Januar 1933 die Macht erlangten, begannen sie im gleichen Jahr mit der Arbeit an den „Reichsautobahnen“. Die Nationalsozialisten nutzten das Projekt für ihre Propaganda, indem sie der „Volksgemeinschaft“ die Vision der Massenmotorisierung und die Teilhabe am technischen Fortschritt versprachen. Darüber hinaus wurde das Bauvorhaben als Lösungsmöglichkeit für eines der größten Probleme der Zeit – die Massenarbeitslosigkeit – propagiert. Bis heute hält sich der Mythos, dass Adolf Hitler die Autobahn erfunden habe, doch die detaillierten Pläne zum Autobahnbau entstanden im Wesentlichen in den 1920er Jahren, das heißt in der Zeit der Weimarer Republik. Konrad Adenauer ließ bereits 1932 die heutige A 555 zwischen Köln und Bonn bauen. Zudem blieb der von den Nationalsozialisten angepriesene arbeitsmarktpolitische Effekt aus – von den versprochenen 600 000 Arbeitsplätzen wurden nur 120 000 geschaffen und die Arbeiter:innen mussten unter extrem schlechten Bedingungen ihr Soll erfüllen – Streikende wurden unter anderem mit der Einlieferung in ein Konzentrationslager bestraft.

Dr. Hendrik Martin Lange / Christina Lefarth

Lernort 

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