Kurze Erläuterung
Diese Karte der Stadt Gelsenkirchen wurde 1935 von dem Maler Andreas Wilhelm Ballin (1880-1957) geschaffen und von der gleichgeschalteten lokalen Presse als „volkstümliche, großzügige Werbung für die Heimatstadt“ begrüßt. Ballin war in den 1920er Jahren als expressionistischer Kirchenmaler bekannt und suchte 1933 die Nähe zu den neuen Machthabern – er fertigte beispielsweise Portraits führender NS-Politiker an und gestaltete den Ehrenbürgerbrief der Stadt Gelsenkirchen für den Gauleiter Dr. Alfred Meyer. Im Jahr 1937 trat er zudem der NSDAP bei. Der Bildplan zeigt mit seinen zahlreichen präzisen Miniaturen nicht nur markante Punkte des damaligen Stadtbildes, sondern bezieht auch städtebauliche Zukunftsprojekte des Nationalsozialismus mit ein, die Gelsenkirchen als „Stadt der Arbeit und Erholung“ in eine nationalsozialistische Musterindustriestadt transformieren sollten. Der Großteil der auf der Karte eingezeichneten Projekte blieb aber bloße Vision – das Thingtheater auf dem Berger Feld und der um ein monumentales Kriegerdenkmal gestaltete Aufmarschplatz in der Altstadt wurden nie realisiert. Nur wenige Projekte, beispielsweise der Gelsenkirchener Teilabschnitt der Reichsautobahn 2, wurden tatsächlich gebaut.
Relevanz des Materials
Während der Kartentitel „Gelsenkirchen. Die Stadt der Arbeit und Erholung“ auf den ersten Blick unverdächtig erscheint, wird spätestens bei der Betrachtung des Untertitels „Wille zur Arbeit durch Glauben an Deutschland“ die propagandistische Absicht der Karte deutlich. Die nationalsozialistische Ideologie durchdrang nahezu alle Lebensbereiche, sodass auch die Stadtplanung zum zentralen Bezugspunkt der aggressiven Politik wurde. Anhand der in der Karte eingezeichneten Bauvorhaben lässt sich der Größenwahn des nationalsozialistischen Regimes ablesen: Das Thingtheater sollte beispielsweise ein monumentales Freilichttheater für 200 000 Zuschauer:innen werden und war Ausdruck der völkischen Germanenverklärung in der NS-Ideologie. Wie viele andere Bauvorhaben der Nationalsozialisten scheiterten auch die in Gelsenkirchen größtenteils an überzogenen Vorstellungen und mangelnder Finanzierbarkeit.
Dr. Hendrik Martin Lange / Christina Lefarth
Das Institut für Stadtgeschichte (ISG) ist die zentrale Einrichtung der Stadt Gelsenkirchen zur Erforschung und Präsentation der Stadtgeschichte. Ihm obliegt die wissenschaftliche Erforschung, Aufbereitung und Präsentation von Stadtgeschichte, insbesondere am Beispiel der Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen. Zum Institut für Stadtgeschichte zählen die Bereiche Stadtarchiv, historische Forschung und Beratung sowie die Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“. Kern der Dokumentationsstätte ist seither eine Dauerausstellung, die sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen auseinandersetzt. Darüber hinaus dient die Einrichtung der politischen Bildung und bietet zudem die Möglichkeit der lokalen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Führungen, Seminare, Projektbegleitung und die Nutzung der Präsenzbibliothek sind möglich.