Musterung: Gruppe junger Männer
Fotografie
Raesfeld um 1938

Kurze Erläuterung 

Nach der „Machtübertragung“ auf die Nationalsozialist:innen im Jahr 1933 veränderte sich auch in ländlich geprägten Regionen wie dem westfälischen Dorf Raesfeld (Kreis Borken) das Alltagsleben spürbar. Obwohl die mehrheitlich katholische Gemeinde dem NS-Regime zunächst zurückhaltend begegnete, etablierten sich rasch lokale Strukturen wie SA- und NSDAP-Ortsgruppen, gefolgt von Hitlerjugend und NS-Frauenschaft.
Gleichzeitig diente die ideologische Aufwertung des Bauerntums im Rahmen der bereits in den späten 1920er Jahren entstandene „Blut-und-Boden“-Ideologie dazu, die ländliche Bevölkerung als ursprünglichsten Teil der von den Nationalsozialist:innen konstruierten „Volksgemeinschaft“ zu idealisieren. Diese Vereinnahmung ging jedoch mit wachsender staatlicher Kontrolle der einher. Der Alltag war geprägt von Abgabenlast und staatlich regulierten Lieferpflichten.
Mit Kriegsbeginn verschärfte sich die Lage weiter. Die wachsende Präsenz nationalsozialistischer Strukturen, Rituale und Organisationen trug die Realität des Krieges unmittelbar in den dörflichen Raum, oft sogar auf den eigenen Hof. Zudem verdeutlichten der zunehmende Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft und die systematische Einbindung ausländischer, oft zu Zwangsarbeit verpflichteten, Kriegsgefangenen die Auswirkungen des fortschreitenden Krieges.
Die Fotografien aus der Sammlung des westfälischen Bauernsohns und Dorffotografen Ignaz Böckenhoff (1911–1994) dokumentieren das Alltagsleben in Raesfeld zwischen 1933 und 1942 eindrücklich. Sie bilden das Spektrum individueller und kollektiver Verhaltensweisen innerhalb einer westfälischen Dorfgemeinschaft ab, die während der nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend ideologischer Einflussnahme und kriegsbedingten Transformationen ausgesetzt war.
Auch die schleichende Militarisierung des Alltags im Zuge der Kriegsvorbereitung spiegelt sich in Böckenhoffs Fotografien wider. Die 1935 wiedereingeführte Wehrpflicht bedeutete eine umfassende Mobilisierung der männlichen Bevölkerung Raesfelds bedeutete.

Relevanz des Materials

Die vorliegende Fotografie zeigt eine Gruppe junger Männer bei der Musterung in Raesfeld um 1938. Ihre heiteren Blicke kaschieren die Ernsthaftigkeit des Anlasses.
Anhand der Aufnahme lassen sich zentrale Aspekte der Wehrpflicht und damit einhergehenden Mechanismen staatlicher Erfassung und Kontrolle erarbeiten. Zudem kann reflektiert werden, welche Auswirkungen diese auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf das Leben junger Männer im wehrpflichtigen Alter, hatte. Mit Blick auf das Alter der Fotografierten können in einem direkten Vergleich mit Fotografie 06_1333 die veränderten Bedingungen im Wehrdienst im Verlauf des Krieges herausgearbeitet werden.
Zudem lädt die Aufnahme dazu ein, den Inszenierungscharakter und die Aussagekräftigkeit solcher Fotografien zu untersuchen: Warum lassen sich die Männer trotz des ernsten Anlasses freudig fotografieren? Was sagt uns diese Fotografie über die allgemeine Stimmung im Zuge der Kriegsvorbereitungen? Inwiefern beeinflusst heutiges Wissen über den Kriegsverlauf und den Holocaust die Deutung des Bildes?

Elisa Gernert

Lernort 

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