Kurze Erläuterung
Nach der „Machtübertragung“ auf die Nationalsozialist:innen im Jahr 1933 veränderte sich auch in ländlich geprägten Regionen wie dem westfälischen Dorf Raesfeld (Kreis Borken) das Alltagsleben spürbar. Obwohl die mehrheitlich katholische Gemeinde dem NS-Regime zunächst zurückhaltend begegnete, etablierten sich rasch lokale Strukturen wie SA- und NSDAP-Ortsgruppen, gefolgt von Hitlerjugend und NS-Frauenschaft.
Gleichzeitig diente die ideologische Aufwertung des Bauerntums im Rahmen der bereits in den späten 1920er Jahren entstandene „Blut-und-Boden“-Ideologie dazu, die ländliche Bevölkerung als ursprünglichsten Teil der von den Nationalsozialist:innen konstruierten „Volksgemeinschaft“ zu idealisieren. Diese Vereinnahmung ging jedoch mit wachsender staatlicher Kontrolle einher. Der Alltag war geprägt von Abgabenlast und staatlich regulierten Lieferpflichten.
Mit Kriegsbeginn verschärfte sich die Lage weiter. Der zunehmende Arbeitskräftemangel und die systematische Einbindung ausländischer, oft zu Zwangsarbeit verpflichteten, Kriegsgefangenen verdeutlichten die unmittelbaren Auswirkungen des fortschreitenden Krieges. Zudem trug die wachsende Präsenz nationalsozialistischer Strukturen, Rituale und Organisationen die zunehmende Militarisierung und Ideologisierung des Alltags unmittelbar in den dörflichen Raum, oft sogar auf den eigenen Hof.
Die Fotografien aus der Sammlung des westfälischen Bauernsohns und Dorffotografen Ignaz Böckenhoff (1911 – 1994) dokumentieren das Alltagsleben in Raesfeld zwischen 1933 und 1942 eindrücklich. Sie bilden das Spektrum individueller und kollektiver Verhaltensweisen innerhalb einer westfälischen Dorfgemeinschaft ab, die während der nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend ideologischer Einflussnahme und kriegsbedingten Transformationen ausgesetzt war.
Während einige Fotografien die Präsenz nationalsozialistischer Strukturen im Alltag der Erwachsenen sichtbar machen, zeigen andere, dass auch die Jüngsten nicht von der Ideologisierung des Lebens verschont blieben. Familiäres Zusammenleben und Kindheitserfahrungen waren im Nationalsozialismus eng mit den Idealen und Anforderungen des Regimes verknüpft. Auch im privaten Raum wurden ideologische Prägungen zunehmend spürbar.
Relevanz des Materials
Die vorliegende Fotografie zeigt den Soldaten Bernhard Stenert im Heimaturlaub bei seiner Familie in Raesfeld im Jahr 1942. Stolz lächelt der Vater in Richtung seiner Söhne, die mit seinem Helm und seinem Gewehr posieren. Die beiden Jungen blicken in die Kamera, während der scheinbar ältere Sohn salutiert und der Jüngere den „Hitlergruß“ zeigt. Die Szene vermittelt somit einen Einblick in Familienleben und Kindheit zur Zeit des NS. Einer Zeit, in der auch die Jüngsten gezielt indoktriniert wurden. Exemplarisch verdeutlicht die Aufnahme die Normalisierung von Symbolen militärischer Macht und nationalsozialistischer Erziehung im familiären Umfeld. Zugleich kann der Heimaturlaub als Gelegenheit zur ideologischen Festigung der Kinder und Stabilisierung der Familienverhältnisse diskutiert werden.
Elisa Gernert
Als Kultur- und Bildungseinrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) hat das LWL-Medienzentrum für Westfalen den dreifachen Auftrag, das audiovisuelle Erbe der Region zu sichern (Bild-, Film- und Tonarchiv), die Geschichte und Gegenwart Westfalens mediengestützt zu dokumentieren und zu vermitteln (Medienproduktion) und das Lernen in der digitalen Welt in Schulen und außerschulischer Bildung zu unterstützen (Medienbildung und -bereitstellung).