Kurze Erläuterung
Sinti und Roma sind eine Volksgruppe, die durch jahrhundertelange Wanderbewegungen aus dem heutigen Pakistan nach Europa kamen. Im osteuropäischen Raum, aber auch in Deutschland wurden sie als „Zigeuner“ bezeichnet, was von der Volksgruppe damals wie heute als beleidigend und herabwürdigend empfunden wird. Sinti und Roma lebten meist in Wagen oder Zelten, da sie schon im 15. Jahrhundert als Rechtlose gesehen wurden und sich somit jahrhundertelang als nomadisches Volk behaupten mussten.
Dass die Volksgruppe sich auch in Westfalen bewegte, zeigt die Fotografie des bekannten Naturforschers Hermann Reichling. Dieser war von 1921 bis 1934 und nach der NS-Zeit bis 1948 Leiter des heutigen LWL-Naturkundemuseums.
Antiziganismus ist bereits seit dem 15. Jahrhundert belegt. Die Schwere der Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus bleibt jedoch einzigartig, denn auch Sinti und Roma werden ab 1936 als „Artfremde“ durch die Nürnberger Gesetze ausgegrenzt, ab 1938 systematisch verfolgt und schließlich ab 1942 ermordet. Etwa eine halbe Millionen Sinti und Roma werden durch die Folgen der NS-Verfolgung als Todesopfer gezählt, was die Volksgruppe in ihrer Sprache als „Porajmos“ (das Verschlingen) bezeichnet.
Relevanz des Materials
Die Fotografie zeigt im Hintergrund eine Frau mit ihren zwei Kindern vor einem Zelt inmitten ihrer Habe. Im Vordergrund sitzt ein Mann mit einem Jungen auf einem Pferd vor sich. Der Junge ist Dieter Reichling, der Sohn des Vogel- und Naturforschers Hermann Reichling. Dass der Direktor des „Provinzialmuseums für Naturkunde“ (heute LWL-Naturkundemuseum) sich nicht nur für die Vogelwelt und Natur, sondern auch für die Menschen seiner Umgebung interessierte, offenbart diese Fotografie aus seiner großen Sammlung. Vor allem birgt die Bildquelle aber das Potenzial zu verdeutlichen, dass Sinti und Roma zwar eine Minderheit, aber immer einen Teil der in Westfalen lebenden Menschen gebildet haben und durch die spätere Verfolgung im Nationalsozialismus als Opfergruppe des Holocausts zu betrachten sind. Das Foto zeigt zwar einerseits eine andere Lebenswelt der „goldenen Zwanziger“, aber andererseits auch eine positive Beziehung der Bildungsbürger Münsters zur Volksgruppe der Sinti und Roma. Dieser Zusammenhang bietet das Potenzial, einen Blick auf die Entwicklung der Beziehungen zu werfen und den Beginn der Verfolgung sowie die Ursprünge dieser zu thematisieren.
Oliver Kottmann
Als Kultur- und Bildungseinrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) hat das LWL-Medienzentrum für Westfalen den dreifachen Auftrag, das audiovisuelle Erbe der Region zu sichern (Bild-, Film- und Tonarchiv), die Geschichte und Gegenwart Westfalens mediengestützt zu dokumentieren und zu vermitteln (Medienproduktion) und das Lernen in der digitalen Welt in Schulen und außerschulischer Bildung zu unterstützen (Medienbildung und -bereitstellung).