Gräflicher Schutzbrief für den Juden Samuel aus Unna
Textquelle
Hamm / Unna / Kamen 1348

Kurze Erläuterung

Im Mittelalter waren in den meisten Teilen West- und Mitteleuropas Juden und Jüdinnen ihren christlichen Mitmenschen keineswegs gleichgestellt. Das gilt auch für Westfalen. Aufgrund ihrer religiösen Andersartigkeit wurden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Anfeindungen als vermeintliche „Christusmörder“ oder verschwörerische Erzählungen von fiktiven jüdischen „Ritualmorden“ waren keine Seltenheit und in den Städten weigerten sich viele Zünfte und Gilden, jüdische Mitglieder aufzunehmen, was für diese praktisch den Ausschluss aus dem Berufsfeld bedeutete. Somit blieb als Betätigungsfeld oftmals nur noch der Handel, die Medizin oder der Geldverleih. Mitunter waren diese Berufe auch Voraussetzung, sich überhaupt in bestimmten Städten ansiedeln zu dürfen.
Innerhalb der jüdischen Gemeinden konnten jüdische Handwerker:innen jedoch frei praktizieren. Diese Gemeinden konnten sich bilden, da Menschen jüdischen Glaubens oftmals in eigenen, isolierten Straßen oder Stadtteilen leben mussten, wo sie nach ihren eigenen Rechten leben durften. Das wurde ihnen im Jahre 1236 durch Kaiser Friedrich II. zugesichert. Friedrich II. berief sich dabei auf das Wormser Privileg Heinrichs IV. aus dem Jahre 1090, das der jüdischen Bevölkerung Worms‘ eben jene Rechte sichern sollte, und weitete es auf Juden und Jüdinnen im ganzen Reich aus. Dafür mussten sie dem König bzw. Kaiser jedoch besondere Abgaben leisten, denn in jüdischen Familien sahen die Landesherren lukrative Steuerzahler:innen.
Trotzdem wurden jüdische Menschen immer wieder Opfer von Pogromen und Vertreibungen, etwa in Zeiten wirtschaftlicher Probleme oder bei Krankheiten und Seuchen, wenn sich Städte und ihre Einwohner über diesen Schutzstatus hinwegsetzten. Daher suchten sich viele Juden und Jüdinnen Hilfe bei dem direkten Landesherren, etwa den jeweiligen Grafen, die ihnen gegen weitere Abgaben sogenannte Schutzbriefe ausstellten, die sie effektiver schützen sollten. Einen solchen Schutzbrief stellte etwa Graf Engelbert III. von der Mark dem Juden Samuel aus Unna im Jahr 1348 aus, der auf sieben Jahre befristet war.

Relevanz des Materials

Der Schutzbrief birgt das Potenzial, die besondere Rolle von Juden und Jüdinnen in der Gesellschaft des Mittelalters zu thematisieren. So bietet schon die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes Anlass zur Auseinandersetzung mit jüdischen Lebensrealitäten und dem mittelalterlichen Antijudaismus, der vielerorts immer wieder zu Pogromen und Vertreibungen führte.
Inhaltlich lässt sich der Brief trotz seiner Kürze in mehrere Abschnitte gliedern. Nach der einleitenden Schutzerklärung werden einzelne Aspekte dieses Schutzes weiter ausgeführt. So kann aus den Zeilen 5 bis 8 des Transkripts herausgearbeitet werden, dass dem Empfänger des Schutzbriefes, Samuel und seiner Familie, Bewegungsfreiheit innerhalb des gräflichen Herrschaftsgebietes zugesichert wird. Damit einher geht die übliche Steuerpflicht.
Die Zeilen 9 bis 11 garantieren Gleichheit vor dem Recht, 12 bis 18 die freie Berufsausübung sowie die Gewährung des Lebens nach jüdischem Recht innerhalb der jüdischen Gemeinden in den Städten Hamm, Unna und Kamen. Auch die Befristung des Schutzes auf sieben Jahre ist hier festgelegt.
In den anschließenden Zeilen 19 bis 23 wird die Gegenleistung für diese Rechte festgelegt, nämlich die jährliche Sonderabgabe von 8 Schillingen, zusätzlich zur obengenannten Steuer. Andere Leistungen sollen nicht zu entrichten sein. Eine Wehrpflicht etwa wäre für die jüdische Bevölkerung, die einem Verbot des Waffenrechts unterlag, ohnehin nicht umsetzbar gewesen.
Abschließend wird ab Zeile 24 geregelt, dass dem Empfänger das Recht zugestanden wird, auch vor Ablauf des Schutzbriefes unter Bewahrung seines Eigentums und seines Wohlergehens das Land zu verlassen.
Insgesamt kann auf Grundlage dieser Aspekte der Schluss gezogen werden, dass der Schutzbrief seinem Empfänger keine Privilegien einräumt, sondern lediglich Grundrechte gewährt, die zeitlich begrenzt waren und zusätzlich zur eigentlichen Steuer bezahlt werden mussten. Damit kann auch die Frage beantwortet werden, warum Landesherren derartige Schutzbriefe ausstellten, denn für sie dürfte es sich hauptsächlich um weitere Einnahmequellen gehandelt haben.
Weiterführend kann darauf hingewiesen werden, dass sich Städte und ihre Einwohner oftmals über diese Schutzbriefe hinweggesetzt haben und sie somit keinen wirksamen Schutz vor Pogromen darstellten. In der Grafschaft Mark, zu welcher die genannten Hamm, Unna und Kamen zählten, kam es 1350 infolge der Pestepidemie zu umfangreichen Pogromen, im Zuge derer die jüdische Bevölkerung vertrieben und getötet wurde. Die daraufhin konfiszierten Güter fielen auch dem Landesherrn zu.

Mario Polzin

Lernort 

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