Polnischer Kriegsgefangener in Zivilkleidung
Fotografie
Raesfeld um 1940

Kurze Erläuterung

Nach der „Machtübertragung“ auf die Nationalsozialist:innen im Jahr 1933 veränderte sich auch in ländlich geprägten Regionen wie dem westfälischen Dorf Raesfeld (Kreis Borken) das Alltagsleben spürbar. Obwohl die mehrheitlich katholische Gemeinde dem NS-Regime zunächst zurückhaltend begegnete, etablierten sich rasch lokale Strukturen wie SA- und NSDAP-Ortsgruppen, gefolgt von Hitlerjugend und NS-Frauenschaft.
Gleichzeitig diente die ideologische Aufwertung des Bauerntums im Rahmen der bereits in den späten 1920er Jahren entstandene „Blut-und-Boden“-Ideologie dazu, die ländliche Bevölkerung als ursprünglichsten Teil der von den Nationalsozialist:innen konstruierten „Volksgemeinschaft“ zu idealisieren. Diese Vereinnahmung ging jedoch mit wachsender staatlicher Kontrolle einher. Der Alltag war geprägt von Abgabenlast und staatlich regulierten Lieferpflichten.
Mit Kriegsbeginn verschärfte sich die Lage weiter. Der zunehmende Arbeitskräftemangel und die systematische Einbindung ausländischer, oft zu Zwangsarbeit verpflichteten, Kriegsgefangenen verdeutlichten die unmittelbaren Auswirkungen des fortschreitenden Krieges. Zudem trug die wachsende Präsenz nationalsozialistischer Strukturen, Rituale und Organisationen die zunehmende Militarisierung und Ideologisierung des Alltags unmittelbar in den dörflichen Raum, oft sogar auf den eigenen Hof.
Die Fotografien aus der Sammlung des westfälischen Bauernsohns und Dorffotografen Ignaz Böckenhoff (1911 – 1994) dokumentieren das Alltagsleben in Raesfeld zwischen 1933 und 1942 eindrücklich. Sie bilden das Spektrum individueller und kollektiver Verhaltensweisen innerhalb einer westfälischen Dorfgemeinschaft ab, die während der nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend ideologischer Einflussnahme und kriegsbedingten Transformationen ausgesetzt war. Böckenhoffs Fotografien dokumentieren so auch die systematische Einbindung von zu Zwangsarbeit verpflichteten Kriegsgefangenen aus Polen. Hinter der inszenierten Normalität verbargen sich ständige Kontrolle und Diskriminierung. Aspekte, die auf den Bildern oft nur angeschnitten werden.

Relevanz des Materials 

Die vorliegende Fotografie aus dem Jahr 1940 zeigt einen polnischen Kriegsgefangenen in Zivilkleidung, auf dessen Jackett ein Abzeichen mit dem Buchstaben „P“ angebracht ist. Dieses „P“ war eine der ersten Maßnahmen der öffentlichen Diskriminierung und Stigmatisierung von polnischen Kriegsgefangenen nach den sogenannten „Polen-Erlassen“ vom 8. März 1940. Es kennzeichnete die Betroffenen als „fremd“ und sollte deren soziale Isolation weiter verstärken. Dabei symbolisierte die Kennzeichnungspflicht die Entmenschlichung und Entwürdigung der Betroffenen, die weitreichenden Einschränkungen und Kontrollen unterworfen waren. Anhand der Aufnahme können somit nationalsozialistische Maßnahmen und Mechanismen der Ausgrenzung, der Stigmatisierung und der rassistischen Hierarchisierung thematisiert werden.

Elisa Gernert

Lernort 

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