Kriegseuphorie im Ersten Weltkrieg?

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird häufig mit Begriffen wie „Kriegseuphorie“, beschrieben. Diese beziehen sich auf die scheinbare Begeisterung der Deutschen für den Krieg und den Glauben daran, nach einem schnellen Feldzug gegen Frankreich mit großem Erfolg wieder nach Hause kommen zu können. In Schulbüchern wird der Kriegsbeginn dabei häufig mit Fotografien kriegsbegeisterter Soldaten aus Großstädten illustriert, die unter dem Jubel von Zuschauer:innen an die Front fahren. Weniger in den Vordergrund treten dabei Themen wie die individuelle Wahrnehmung der Menschen oder der logistische Aufwand, der hinter einem solchen Krieg steht.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs lässt sich jedoch nicht nur aus der  großstädtischen, insbesondere berlinerischen Perspektive betrachten. EDU_Westfalen bietet einige Materialien zu diesem Thema, die insbesondere für den Fall Gütersloh einen sehr interessanten quellenbasierter Zugang bieten. 

Zum Einstieg bietet sich das Foto „Gute Fahrt“ an. Hier könnte beispielsweise mit der Fotografie eingestiegen werden. Die Bildbeschreibung ergibt einen Zug mit Güterwaggons, in dem Männer, zum Teil in Uniformen sitzen, die den Menschen am Bahnübergang zuwinken. Der Waggon selbst kann auch Teil einer genaueren Untersuchung werden, hier können die zahlreichen Graffiti und Beschriftungen genauer analysiert werden. Sie machen die über Jahre im Kaiserreich propagierte „Feindschaft“ zu Frankreich deutlich. Die Stimmung auf der Fotografie scheint entspannt bis fröhlich, was auch durch die nachträglich hinzugefügte Bildunterschrift deutlich wird. Erst durch die Erfindung der Eisenbahn und den immer fortschreitenden Ausbau des Eisenbahnnetzes war es im Ersten Weltkrieg möglich, dass Soldaten und auch Waffen schnell an die Front gebracht werden konnten. Im Gegensatz zu den kriegerischen Konflikten bis ca. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Kriegslogistik durch die Eisenbahn ein wesentlicher Faktor der Mobilisierung für Krieg, was sich bereits im deutsch-französischen Krieg gezeigt hatte. Welcher logistische Aufwand hinter der Mobilisierung steckte, wird auch mit Blick auf den „Kriegsfahrplan“ aus der Westfälischen Zeitung vom 02.08.1914 deutlich. Hier zeigt sich, mit welchen Aufwand der Transport von Menschen und auch Material an die Front geplant werden musste. Die Abgrenzung zum „Friedensfahrplan“ zeigt den zusätzlichen Aufwand, der für die Mobilmachung aufgebracht werden musste. Auf der Mitte der Seite lässt sich auch die Abfahrt des Zuges in Gütersloh ablesen. Sicherlich handelt es sich nicht um denselben Zug, der auf der Fotografie zu sehen ist, aber in einen gemeinsamen Kontext können beide Materialien trotzdem gesetzt werden.
Als drittes Material zur Bearbeitung des Themenfeldes „Ausbruch des Ersten Weltkriegs“ bietet sich das Tagebuch von Mathilde von Ledebur an, die als Hausangestellte auf dem Familiengut Crollage in Preußisch Oldendorf gearbeitet hat. Sie beschreibt die Bekanntgabe der Mobilmachung und wie sich der Sohn einer Bekannten als Freiwilliger meldete und schließlich eingezogen wurde. Außerdem beschreibt auch sie Szenen aus Gütersloh (u.a. “ In Gütersloh. Die Jungens in fabelhafter Begeisterung und Aufregung halfen die Einberufungs-Befehle herum bringen per Rad. – Frage – ob Schule geschlossen würde oder nicht – Viele reisten ab mit u. ohne Erlaubniß – Unsere durften noch nicht – Jan bekam auf Bitte von seinem Vater die Erlaubniß sich als Freiwilliger zu melden zu dürfen dann wurde Schule geschlossen – In einer Stunde das Nöthigste gepackt und weil Züge schon nicht mehr gingen per Rad mit Rucksack nach Crollage – Bergkirchen – Ostenwalde – Fritz in Giesberths Begleitung – beweglicher Abschied der Jungens von Else – der die Knie zitterten, als Jan vor ihr stand – bepackt mit Rucksack – sie auf den Treppenstufen stehend sich über ihn beugte u. er die Arme um ihren Hals schlang – dann alle fort und das Haus still geworden -„).
Die drei Materialien eignen sich aufgrund ihrer Beziehung zum Ort Gütersloh und aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit, sich dem Thema des Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. So lassen sich anhand dieser drei Materialien die logistische, die öffentliche aber auch die private Wahrnehmung des Kriegsausbruchs erarbeiten und mit Blick auf das Tagebuch insbesondere auch der Mythos der „Kriegseuphorie“ hinterfragen.

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